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Versteinerte Depots

Während die Zukunft im Unklaren liegt, kennen wir die Vergangenheit des Aktienuniversums recht genau. Dies machen Sie sich als Wachstumsstratege zu Nutze. Und genau deshalb werden die Kennzahlen ihrer Positionen vermutlich nie mehr so sehr sehr glänzen wie zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie diese erwarben. Schließlich - hoffentlich! - haben Sie die sich die einzelnen Aktien doch insbesondere deshalb ausgesucht, weil diese in der Vergangenheit eine so gute Figur abgaben.

Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit werden - die richtige Auswahl getroffen - viele ihrer Wachstumswerte den Erwartungen gerecht. Doch innerhalb von fünf, zehn und mehr Jahren verändert sich die Welt. Neue Unternehmen steigen in die Riege der Wachstumswerte auf, während andere - leider - absteigen. Der Abstieg von einem Wachstumswert in die zweite Reihe ist aber die Ausnahme. Öfter wird es passieren, dass man aus heutiger Sicht gerne ein paar Werte austauschen würde, weil es vielleicht was Besseres gibt, man es aber nicht tut.

Warum? Dies lässt sich beispielhaft an meinen eigenen Depots erklären.

Zunächst mein steuerfreies Altdepot. Das ist nicht nur versteinert, sondern hart wie Granit, denn mit jedem Verkauf würde ich die Steuerfreiheit verlieren. Jeder Euro Kurssteigerung wandert hier voll in meinen Geldbeutel, während es bei einer Neuinvestition lediglich 73,63 Cent dorthin schaffen. Damit sich ein Euro verdoppelt, ist dann nicht mehr ein Euro nötig, sondern 1,36 Euro. Luxusproblem, denken Sie sich. Darauf ich: Wollen wir doch mal schauen, was die nächste Reform der Einkünfte aus Kapitalvermögen so bringt. Dann haben Sie vielleicht ein ähnliches "Luxusproblem" am Hals (und ich mein drittes Depot).

Aber auch auf meinem Neudepot hat sich schon eine Kruste gebildet. Aktuell liegt das Depot mit 45 Prozent im Plus. Aus 10.000 Euro wurden also 14.500 Euro - sprich 4.500 Euro Gewinn, auf die beim Verkauf sofort 1.186,75 Euro Abgeltungssteuer + Soli (26,375%) fällig würden. Den Betrag müsste ich durch ein besseres Investment erst mal wieder reinholen.

Solange ich deshalb davon ausgehe, dass ein Unternehmen weiterhin wächst, nehme ich in Kauf, dass es langsamer wächst als ein anderes Unternehmen, dem ich aus heutiger Sicht den Vorzug geben würde. Die Abgeltungssteuer führt bei also in beiden Depots dazu, dass diese "versteinern".

Dazu kommt noch die psychologische Komponente. Ein Depot im Plus ist irgendwie schöner anzuschauen, als ein Depot +/- null. In die Richtung bewege ich mich aber, wenn ich eine Position im Gewinn verkaufe. Natürlich ist das kein sachliches Argument, aber Gefühle auszuschalten, ist manchmal schwer.

Bleiben also noch die Positionen ohne Gewinn im Neudepot, die ich ohne Herzschmerz verkaufen könnte. Und tatsächlich fiel es mir bisher immer recht leicht, Verluste zu realisieren, wenn ich zu der Überzeugung gelangt bin, dass anderweitig mehr zu holen war, wie sich an den Verkäufen im Altdepot sehen lässt.

Zusätzlich gibt es noch - die unter Wachstumsstrategen - weit verbreitete Ansicht, dass man einmal gekaufte Aktien nie wieder verkaufen soll. Ich persönlich halte das für Quatsch. Was soll ich heute noch mit Nokia oder E.ON im Depot? Aber die Meinung ist eben da und auch recht weit verbreitet.

Es ist also eine Mixtur aus harten - steuerlichen - Fakten, Psychologie und gelebter Wachstumsstrategie, die dazu führt, dass ein Depot versteinern kann.

Wer sich dies bewusst macht, kann folgenden Nutzen daraus ziehen:

  • Psychologische Fallstricke ausschalten, um Aktien mit enttäuschender Wachstumsperspketive - unter Berücksichtung der Steuer - gegebenenfalls sowohl im Plus als auch im Minus zu verkaufen
  • Damit verbunden die Aussage überdenken, dass einmal gekaufte Aktien niemals wieder her zu geben sind
  • Der Auswahl der richtigen Wachstumswerte noch mehr Aufmerksamkeit schenken, als Sie es ohnehin schon tun

Und bleibt noch die tröstliche Erkenntnis, dass Fossilien wenigstens interessant anzuschauen sind, und zwar sowohl im Museum als auch im Depot.

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